Kommentar zum Ende der Millowitsch-Ära
Es ist Dienstag, der 12. Dezember 2017. Irgendwann am Vormittag verkündet Peter Millowitsch im Foyer der Volksbühne am Rudolfplatz (Anm.: für mich nach wie vor das „Millowitsch-Theater“) in Köln das Aus des Traditionstheaters. Gleicher Tag zur gleichen Zeit in Hildesheim (Niedersachsen). Ich halte einen Vortrag und bin danach sowie davor immer irgendwie in der Aachener Straße in Köln. Ich erahne, was in Köln geschieht und doch hätte ich jetzt gern Gewissheit.
Gut 15 Jahre zuvor fing für mich alles an… Es ist der 05. Oktober 2002, als mein zwölfjähriges Ich zum ersten Mal die „heiligen Hallen“ des altehrwürdigen Millowitsch-Theaters betritt. Ich wollte damals unbedingt eine Aufführung von „Et kütt wie et kütt“ live sehen. Wollte unbedingt mal in diesem Theater sitzen, die Atmosphäre spüren – und Atmosphäre hatte dieses Theater. Ich war damals schon Fan von Mariele Millowitsch und nach diesem 05. Oktober war ich Fan der ganzen Familie. Dass ich danach kaum eine Aufführung mehr verpasste, dürfte sich von selbst verstehen. Ab 2008 besuchte ich zudem jede Premiere. Wahrscheinlich ist es auch überflüssig zu erwähnen, dass ich zig Aufführungen der letzten fünf Jahrzehnte auf Video und DVD besitze. Ja, der Zauber und die Geschichte dieses besonderen Ortes faszinieren mich noch heute.
Als das Theater vor ein paar Jahren zur „Volksbühne am Rudolfplatz“ umbenannt und saniert wurde, verlor es ein wenig von diesem Zauber für mich, muss ich gestehen. Damit möchte ich niemandem zu nahetreten, aber ich fand das Theater vorher einfach uriger und gemütlicher. Sicher, alles hat seine Zeit und irgendwann sind einfach Neuerungen von Nöten, aber ich hatte mich anfangs doch schwer damit getan. Aber Peter Millowitsch und sein Ensemble blieben ja. Mit dem Rest fand ich mich ab.
Man muss einfach sagen, dass ich mit diesem Theater aufgewachsen bin und erwachsen wurde. Es hat mich ganz intensiv durch sehr wichtige Jahre begleitet. Die Pubertät, erste Lieben und Leiden, Trauer, Höhenflüge, Tiefschläger, Freude… einfach durch alle Höhen und Tiefen. Es gab Zeiten, da waren die Premiere und die neue Spielzeit scheinbar der einzige Lichtblick für mich. Die Entlohnung für den ganzen alltäglichen Mist. Die erste Reise ohne Erwachsene führte mich natürlich auch geradewegs ins Millowitsch-Theater. Mit zarten 16 Jahren und nur mit einer guten Freundin ging es damals in die große Stadt Köln. Ich habe so viele Momente dank Millowitsch erleben dürfen… dafür bin ich heute sehr dankbar. Ganz viele Erinnerungen werden bei mir archiviert. Die kann mir ja zum Glück auch niemand nehmen. Peter Millowitsch selbst hat sogar direkt dazu beigetragen, dass mein Leben so verlief, wie es verlief und von dem ich heute sagen kann, dass alles seine Richtigkeit hatte. Es war gut so. 2009, nach dem Abitur, liebäugelte ich damit, eine Schauspielschule zu besuchen. Wenn man Fan einer solchen Theaterfamilie ist, kann der Berufswunsch ja kaum ein anderer sein als Schauspielerin, oder? Bühnenluft schnupperte ich das erste Mal mit neun Jahren und wollte seitdem nichts anderes werden als Schauspielerin. Natürlich bestenfalls im Millowitsch-Theater. Ich wurde sogar an einer Schauspielschule angenommen – und wo? Natürlich in Köln. Da ich aber auch Zweifel an dieser Berufswahl hatte, suchte ich Rat bei Peter Millowitsch und bekam einen solchen. Er riet mir, lieber erst einmal etwas „vernünftiges“ zu lernen, die Branche sei hart. Recht hatte er. Ich legte meinen Traum also auf Eis und wurde (zwar über Umwege) etwas „vernünftiges“. Ich bin froh über meine damalige Entscheidung, obwohl die Schauspielerei immer noch ein Traum ist. Ich bin mir gar nicht sicher, ob Peter Millowitsch das heute noch weiß. Da kann man mal sehen, wie direkt jemand aus dieser Familie meinen Werdegang beeinflusst hat – wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein.
August 2016. Es wird bekannt, dass der WDR künftig keine Stücke mehr aus dem Millowitsch-Theater aufzeichnet. Der Anfang vom Ende? Meine Alarmglocken schellen explosionsartig. Ohne ausreichende Einnahmen wird sich kein Theater auf Dauer über Wasser halten. Also schnell – ohne groß darüber nachzudenken – eine Online-Petition gestartet, die den WDR zum Nachdenken anregen soll. Viele Menschen haben dort „unterschrieben“. Hat der WDR sich dies zu Herzen genommen? Natürlich nicht. Das hatte ich auch nicht erwartet. Mir war es in erster Linie wichtig, die Menschen und Fans auf die Problematik aufmerksam zu machen. Natürlich ist es das eine, eine Online-Unterschrift zu leisten und das andere, sich wirklich eine Karte zu kaufen und den großen Aufwand auf sich zu nehmen, sich abends für den Theaterbesuch auf den Weg zu machen. Da ist gerade zur Winterzeit das Sofa wahrscheinlich schon etwas verlockender… Auf die ein oder zwei Karten kommt es ja auch nicht an. Man kann das Theater ja auch irgendwann anders mal besuchen. Die Rechnung geht auf Dauer nur so gar nicht auf. Das geht nach hinten los.
Sogar eine kleine Demo, seinerzeit der „MilloMob“ wurde organisiert, aber wie es so ist… im Internet seine Meinung deutlich kundzutun und sich dann wirklich an einem verregneten Samstag in die Kölner Innenstadt zu begeben, sind auch zwei verschiedene Paar Schuhe. Gerade mal ein Dutzend Leute hatten sich am Rudolfplatz zusammengefunden – von angekündigten 300. Auch das ist das Internet. Wo waren die Kölner, die ihr Millowitsch-Theater so lieben und die jetzt so traurig sind? Die, die jetzt meinen, so eine Institution könne doch nicht zu Ende gehen und die jetzt nach Frau Reker (Anm.: Oberbürgermeisterin von Köln) rufen. Was bitte soll denn Frau Reker jetzt machen? Glaubt man wirklich, dass das Theater genau jetzt die Subventionen erhält, die es noch nie bekam? Dass Frau Reker alle Karten kauft, damit ihr es nicht tun müsst? Peter Millowitsch ist Ende 60 und es gibt keinen Nachfolger. Das Ende, meine Damen und Herren, war eine Frage der Zeit. Die wirklichen Fans, die das Ganze in den letzten Jahren auch nur ein bisschen verfolgt haben, haben sich mental irgendwie schon auf diesen Tag X vorbereitet. Zumindest ich habe das getan. Natürlich habe ich es auch immer ein Stück weit verdrängt, aber gerade in den letzten zwei Jahren setzte ich mich bewusster damit auseinander.
Letzte Woche geisterte durch die Presse, dass Peter Millowitsch zu einer Pressekonferenz geladen hätte. Dort solle es um die Zukunft seines Theaters gehen. Da waren sie wieder, meine Alarmglocken. Ich wusste, der Tag kommt und ich ahnte in der letzten Zeit, dass er wahrscheinlich näher ist, als ich denke. Sollte es jetzt soweit sein? Ernsthaft? Vor Weihnachten? Und überhaupt: jetzt schon? Es nützte nichts, ich musste mich ein paar Tage lang in Geduld üben.
Dann war er da, der 12. Dezember 2017. Es ist offiziell. Anfang 2019 ist Schluss. Noch eine Saison und es heißt Adieu sagen. Kurz machte sich in mir auch Erleichterung breit. Immerhin noch eine Saison. Noch Zeit für mich, Abschied zu nehmen und die nächsten Theaterbesuche bewusster wahrzunehmen. Trotzdem ist unendlich viel Traurigkeit in mir. Tut es weh? Ja. Ich bin und bleibe Fan und dann tut es natürlich weh. Verstehe ich Peter Millowitsch? Absolut. Ich stehe vollkommen hinter Peter Millowitsch und seiner Entscheidung. Mehr noch, ich kann es verstehen und hätte wahrscheinlich selbst so entschieden an seiner Stelle. Wie gesagt, es ist seit dem Aus mit dem WDR schwierig geworden, es gibt keinen Nachfolger und Peter Millowitsch geht auf die 70 zu. Unter uns, ich möchte mit 70 nicht mehr arbeiten. Peter Millowitsch trat Ende der 1990er Jahre ein schweres Erbe an und ich finde, er hat es gut 20 Jahre lang sehr gut gepflegt.
Auf der Facebook-Seite, die ich als Fanseite für das Theater pflege, sind viele Menschen verständlicherweise schockiert und traurig. Trotzdem kann ich nur immer wieder sagen, dass dieser Tag sowieso gekommen wäre, sofern man es realistisch betrachtet. Ehrlich gesagt, würde mich auch mal interessieren, wie viele von denen, die am lautesten schreien, wirklich regelmäßig das Theater besucht haben. Schon klar, jahrelang ist es da, seitdem man denken kann, eine Institution, aber wahrscheinlich auch zu selbstverständlich. Vielleicht bewegt das nahende Ende ja den einen oder anderen dazu, auch tatsächlich Abschied zu nehmen und den aktuellen und/oder den letzten Schwank anzuschauen.
Der letzte Schwank dürfte Fans bestens bekannt sein. Es wird sich um den „Etappenhasen“ handeln. Ja genau, genau der Schwank, mit dem für Willy Millowitsch seine TV-Karriere begann und der den Namen Millowitsch erst über die Grenzen Kölns hinaus so richtig bekannt gemacht hat. Ich finde, damit hat Peter Millowitsch eine sehr gute Wahl für den Abschied getroffen. Es passt und ich freue mich sehr darauf, diesen Schwank in einer Neuinszenierung zu sehen. Es wird mir eine Ehre sein!
Also anstatt zu meckern und sich zu beklagen, liebe Kölner, freut euch, dass ihr dieses Theater hattet! Dass Willy Millowitsch, seine Vorfahren und die ganze Familie euch so viel Freude bereitet haben. Dass ihr die Möglichkeit habt, euch noch einmal zu verabschieden und „Tschö“ zu sagen. Natürlich darf man traurig sein und den Verlust beklagen, aber leider hat alles mal ein Ende. Für das Millowitsch-Theater ist diese Zeit jetzt gekommen. Ich schreibe das so dahin und dabei tut es mir doch wahrscheinlich noch am meisten weh. Und ja, vielleicht ist auch schon ein Tränchen geflossen. Ich freue mich aber nun darauf, den aktuellen Schwank noch einmal zu sehen (der läuft nämlich noch bis Ende März 2018) und natürlich freue ich mich dann auf das Finale, auf den „Etappenhasen“. Kleine Anmerkung dazu: Meine Oma erzählt mir immer noch stolz, dass das erste, was sie jemals im TV sah (damals war sie 12 Jahre alt – so alt wie ich, als ich das Theater zum ersten Mal betrat) was war?… ja, was wohl? Es war tatsächlich „Der Etappenhase“ aus dem Millowitsch-Theater. Also Peter Millowitsch, Sie sehen, auch für mich schließt sich hier ein Kreis.
Danke, Peter Millowitsch und Ensemble, für all‘ die schönen und vergnüglichen Stunden, für das Lachen, die Heiterkeit, die Ablenkung vom Alltag und dafür, dass ich Gast auf den Premieren sein durfte und vielleicht ja noch einmal sein darf. Ach ja und natürlich dafür, dass Sie meinen Lebensweg in eine „vernünftige“ Bahn gelenkt haben 😉
Ich werde diese Jahre jedenfalls nie vergessen und das Millowitsch-Theater und alle Leute, die ich dadurch kennenlernen durfte, immer im Herzen behalten.
Irgendwann werden meine Enkel wahrscheinlich mein „Millowitsch-Gedöns“ finden und dann werden sie, ob sie wollen oder nicht, all‘ die Geschichten hören und sich wohl auch die ein oder andere DVD mit mir gönnen müssen 😉 Darauf freu‘ ich mich schon jetzt.
Also, anstatt zu meckern, sage ich an dieser Stelle noch einmal: D A N K E !
Eileen Kortum, 12. Dezember 2017