Auf der Spur meiner Ahnen - Mariele Millowitsch, am 18.7.2007 im ZDF

- Seite 3 -

Zurück in Köln.

 

Sprecher: Der Aufenthalt auf Schloss Braunfels hat das Weltbild des Puppenspielers Wilhelm verändert, das ist Mariele jetzt klar.

 

Mariele schaut sich auf ihrer Digitalkamera ihre Fotos an, die sie auf dem Schloss gemacht hat.

 

Mariele: Ein Multitalent war mein Urgroßvater auf jeden Fall. Also nicht nur schreiben... der war auch handwerklich begabt. Ich glaub, der hat alles gemacht und was mich an dem Mann fasziniert ist, dass der auch... der hat irgendwie gebrannt, total. Der hat vor allem auch den Drang gehabt, dem Beruf des Schauspielers eine gesellschaftliche Anerkennung zu geben, dass jetzt nicht nur das fahrende Volk... dass man jetzt nicht nur so zum „Underdog“ sozusagen gehört, sondern dass man gesellschaftliche eine Stellung erreicht. Das ist denen auch gelungen, also wenn man sieht, die verschiedenen Adressen in denen gewohnt wurde, die wurden immer ein kleines Bisschen besser. So, und ich glaube, das war ihm ein ganz großes Anliegen, auch dahin zu kommen und das hat er wirklich geschafft der Mann. Ich weiß gar nicht, ob der überhaupt irgendwann mal geschlafen hat.

Sprecher: Die Leidenschaft fürs Spiel beginnt mit dem Ur-Ur-Urgroßvater Franz Andreas, geboren 1797. Bevor er Puppenspieler wird, handelt er mit Gerbereiabfällen – Lohkuchen zum Düngen. Sein Sohn, Johann Caspar, ist Wilhelm Millowitschs Vater. Wo wohnte dieser Franz Andreas überhaupt? Die alten Adressbücher geben Auskunft.

 

Mariele ist über ein dickes, altes Buch gebeugt.

 

Mariele (liest): Millewitsch... Franz, Puppentheaterbesitzer. Millowitsch, Franz, Puppentheater, Katerinengraben. Dann haben wir den Franz, Tagelöhner, alte Mauer am Bach.

 

Mariele besucht die Adresse.

 

Sprecher: Das Haus von Franz Andreas kann Mariele nicht mehr finden, es wurde im Krieg zerstört.

 

Mariele: „Alte Mauer am Bach“. Hier soll Franz Andreas Millowitsch aufgewachsen sein, das war in Hausnummer 5 und er wurde in den Adressbüchern noch geführt an dieser Stelle als Lohkuchenhändler und Tagelöhner, mal so, mal so.

 

Sprecher: Der Ur-Ur-Urgroßvater darf in Köln nicht als Puppenspieler auftreten, weil es bereits ein Hänneschen-Theater gibt.

 

Mariele läuft am Rheinufer entlang, auf der „schäl Sick“ (die rechtsrheinische Seite Kölns)

 

Sprecher: Dr. Schwering weiß mehr. Sein Spezialgebiet ist Kölnische Geschichte und auch über Franz Andreas hat er viel geforscht.

Mariele und Dr. Schwering begrüßen sich.

 

Dr. Schwering: Hier hat er gestanden, von hier aus hat er nach Köln herübergeguckt. Er hat ja nicht nur geguckt, sondern er wohnte ja auch in Köln.

 

Mariele: Also kann ich davon ausgehen, dass hier Franz Andreas stand?

 

Dr. Schwering: Ja, in etwa...

 

Mariele: Und hat hier mit den Puppen gespielt?

 

Dr. Schwering (nickt): Hier auf dieser Seite in jedem Fall. Das ist die schäl Sick, gehörte nicht zu Köln, er durfte nicht nach Köln, also hat er hier gespielt und war außerhalb von Köln. Mit großem Selbstvertrauen hat er hier gestanden und unter seinem langen Radmantel seine Puppen herausgeholt...

 

Mariele: Obwohl die Leute Brückengeld zahlen mussten, um jetzt hier rüber zu kreuzen? Kann ich mir vorstellen, dass trotzdem das Publikum dann hierher gekommen ist, um Franz Andreas zu sehen?

 

Dr. Schwering:Ja, ja ja! In jedem Fall! Die warteten ja darauf.

 

Mariele: Also Geld bezahlt für die Brücke plus Franz Andreas etwas in den Hut getan, weil sie ihn so gut fanden?

 

Dr. Schwering: Ja, weil sie ihn so gut fanden.

 

Dr. Schwering und Mariele breiten eine Karte aus.

 

Dr. Schwering liest vor: Bitte zur Anlegung eines Puppentheaters in einer gewissen, allenfalls zu bestimmenden Entfernung von hiesiger Stadt Köln mit Wohlerwogenheit zu genehmigen. So lange ich lebe, werde ich diese hohe Gnade im innigsten Dank in Ehre halten.

 

Mariele: Wieso wollte die Stadt Köln denn partout nur einen Puppenspieler haben? Wieso konnte man keine zwei ertragen?

 

Dr. Schwering: Weil Puppenspieler um diese Zeit auch verdächtigt sind, immer gegen die herrschende Politik, gegen die Herrschenden überhaupt, ihr Theater spielen zu lassen.

 

Mariele: Volkesmund hätte durchaus noch einen ertragen, oder?

 

Dr. Schwering: Durchaus. Ach, die Kölschen waren da sehr tolerant...

Und auf all die Bitten, haben die die Lust verloren, sich weiter mit ihm herum zu zanken und da hatte er auf einmal die Konzession.

Mariele wird hinterher dazu befragt.

 

Mariele: Bemerkenswert finde ich so die, also dass Franz Andreas ja eigentlich als Lohkuchenhändler so mit diesem Beruf gar nichts zu tun hatte und dann in sich spürte und das finde ich so toll – wie ein Segen von oben oder wie eine Erleuchtung – er will Puppenspieler werden.

 

Mariele mit Bruder Peter vor dem Familientheater, Mariele erzählt im Hintergrund:

Für uns, über die Generationen – Peter und ich, wir sind jetzt die sechste – hat das natürlich auch irgendetwas mit uns zu tun. Das hat mich schon beeindruckt, dass jemand so an sich glaubt. Er wusste einfach, er kann es.

Man sieht Bilder aus einem alten Familienvideo: Mariele mit Mutter Gerda.

 

Sprecher: Im Elternhaus stand die Familiengeschichte der Schauspielerdynastie immer im Mittelpunkt. Über die Vorfahren der Mutter hingegen, weiß Mariele kaum etwas. Ihre Mutter Gerda, geb. Feldhoff, organisierte das Familienleben und hielt ihrem Mann den Rücken frei.

 

Mariele: Meine Mutter, die war wirklich sehr organisiert und sehr fleißig, was das betraf.

Gerda Millowitsch

Ein Foto von Gerda Millowitsch (in jungen Jahren) ist zu sehen.

 

Sprecher: Als Willy der 24-Jährigen seinen Heiratsantrag macht, bricht sie ihre Doktorarbeit in Sozialkunde ab. Von da an widmet sie sich ausschließlich der Familie.

 

Man sieht eine Straße in einer Wohnsiedlung.

Mariele: Meine Oma konnte den Vater nicht leiden, also die Mutter meiner Mutter. Die hat immer gesagt: „Der widerliche Schnäuzerkerl kütt mir nit ins Haus“, das heißt also, dieser widerliche Schnäuzerkel kommt mir nicht ins Haus. Nachher waren die aber ein Herz und eine Seele, meine Oma und mein Vater. Und die Omi fand ich wunderbar, die konnte ich immer ganz besonders gut leiden und die hatte ja auch das Geschäft dahinten drin, da roch es auch immer so schön.

 

Mariele klingelt an einem Haus.

 

Sprecher: Die Großmutter eröffnet in den 20er Jahren einen Wäscheladen, den führt heute die Enkelin.

Marieles Tante Magda, eine Schwester der Mutter, lebt in dem Haus, das die Großelten Luise und Otto Feldhoff hatten.

 

Mariele und ihre Tante begrüßen sich und gehen ins Haus.

 

Mariele bekommt alte Bilder zu sehen.

 

Mariele mit ihrer Tante Magda
Mariele mit ihrer Tante Magda

Tante Magda: Also für uns waren es die Eltern.., also auch bespielsweise, wenn er uns das Essen aufgetragen hatte. Der Vater nahm die Schüssel und gab zuerst der Mutter, dann der Vater und dann kamen wir dran. So hatte jeder seine Rolle. Die Mutter als Frau, die war natürlich dominant, aber die hätte niemals gesagt... Nee, unser Vater war der Vater und bei uns waren das einfach Respektpersonen.

 

Mariele: Der Großvater interessiert mich noch, Otto, dein Papa. Wo kam der eigentlich her?

 

Tante Magda: Aus dem „Katzenloch“ in Frielingsdorf...

 

Mariele: Was ist das „Katzenloch“?

 

Tante Magda: Das „Katzenloch“ ist der elterliche oder urgroßelterliche Hof. Der Hof, den wahrscheinlich immer wieder einer übernommen hat. Gab es da damals schon das Erbhofrecht? Jedenfalls übernahm der Älteste und die anderen gingen und der Großvater war dann wohl Gutsverwalter nachher. Was er die erste Zeit gemacht hat, weiß man nicht.

 

Mariele: Was hat der denn beruflich eigentlich gemacht?

 

Tante Magda: Der war am Schlachthof. Nun frag mich nicht, was. Ich habe in meinen Erinnerungen, dass er unheimlich viel von Vieh verstand und die Käufer zu ihm kamen, weil er hervorragend klassifizierte.

 

Tante Magda zeigt sog. „Totenzettel“

 

Tante Magda: Mariele, kennst du sowas hier?

 

Mariele: Die Totenzettelchen? Klar, kenn ich.

 

Tante Magda: Siehst du, das ist jetzt die Schwester von Opa, das ist der Opa und das ist schon die nächste Generation. Mehr habe ich da leider nicht. Aber wer jetzt die sind, das weiß ich nicht.

 

Mariele: Meinst du, das macht Sinn, da mal hinzufahren?

 

Tante Magda: Ich weiß nicht, was da heute ist.

Sprecher: Marieles Ur-Urgroßvater Johann Peter Feldhoff ist 1802 geboren. Durch die Heirat mit Elisabeth Hofstadt, wird er Gutsbesitzer. Ihr Sohn, Johann Carl, ist Ottos Vater.

 

Mariele fährt Auto, neben ihr sitzt Katarina.

 

Sprecher: Unterwegs mit Schwester Katarina nach Frielingsdorf. Sie erinnert sich noch gut an die Ferien auf dem Hof der Feldhoffs.

 

Katarina: Das ganze Leben findet eigentlich in der Küche statt, eine riesen-Küche mit so einem alten Herd, auf dem immer eine große Kanne Kaffee stand – den ganzen Tag.

 

Sie erreichen den besagten Hof.

 

Sprecher: Heute leben keine Verwandten mehr auf dem Gehöft im Bergischen Land. Mariele sieht das Anwesen zum ersten Mal.

 

Katarina und Mariele befinden sich nun auf dem Grundstück.

 

Katarina: Das war, ich glaube, hier ging man in die Küche rein und irgendwie war daneben gleich der Kuhstall.

 

Beide lachen und sehen sich weiter um.

Sprecher: Ungewöhnlich für einfache Bauern: ihre Ur-Urgroßeltern haben sich mit einem Denkmal verewigt.

 

Mariele liest vor: Errichtet von Feldhoff-Hofstadt, im Jahre 1857.

 

Sprecher: Auf so einem Hof zu leben, war Marieles Kindertraum.

 

Mariele: Eigentlich wollte ich das ja auch immer haben, Bauernhof mit Viechern, 4500 Kinder...

 

Katarina: Träum' weiter, Kleine.

 

Sie lachen.

Gabriele Emrich und Mariele
Gabriele Emrich und Mariele

Sprecher: Wiesen, Wald und Felder gehörten zum Familienbesitz. Welche Stellung hatten die Feldhoffs in dieser Gegend? Im Gemeindearchiv in Lindlar hat die Historikerin Gabriele Emrich für Mariele geforscht.

 

Frau Emrich und Mariele werden im Archiv gezeigt.

 

Sprecher: Das Ergebnis überrascht. Die Feldhoffs sind nicht irgendwer, haben sogar eine gewisse Machtposition.

 

Mariele und Frau Emrich schauen sich alte Ordner an.

 

Mariele schaut in einen Ordner: Ein Feldhoff! Ich werd verrückt! Johann Peter Feldhoff, Frielingsdorf. Mein Ur-Urgroßvater.

 

Frau Emrich: Genau, der hat an der ersten Sitzung schon teilgenommen.

 

Mariele: Das heißt, er saß hier im Gemeinderat und war ein wichtiges Tier und hat Beschlüsse mitgestaltet sozusagen...?

 

Frau Emrich: Richtig, ja. Und ich habe ihn bis zum Jahr 1863 gefunden, dass er also hier im Gemeinderat gesessen hat.

 

Mariele: Steht da auch dabei, was er beschlossen hat?

 

Frau Emrich: Es steht so Einiges darin, klar, was die da gemacht haben im Gemeinderat. Und hier finden Sie unter anderem auch seine Unterschrift mit dem vollem Vornamen.

 

Mariele: Das hat er selber geschrieben?

 

Frau Emrich: Das hat er geschrieben. Es war vielleicht nicht nur das eigene Interesse, weswegen man im Gemeinderat saß, oder auch er jetzt speziell, der im Gemeinderat saß, sondern es war auch ein Stück weit schon das Eintreten für diese Gemeinde, für diese Bürgermeisterei.

Was ich dann noch gefunden habe, ist dann praktisch, dass Johann Peter also eine ganze Menge Geschwister hatte und zwar hatte der noch fünf Brüder, die ich nachweisen konnte.

 

Mariele: Und wo haben wir jetzt die Eltern?

 

Frau Emrich: Die stehen hier, die habe ich jetzt recherchiert aufgrund der Kirchenbucheintragungen. Johannes Feldhoff und Sybilla Katharina Niemand. Ich habe dann auch die Sterbeurkunde von ihm gefunden...

 

Mariele: Zu Johannes Feldhoff?

 

Frau Emrich: Zu Johannes Feldhoff und die geben halt an, dass der Johannes Feldhoff der Ehemann der Sybilla Katharina Niemand, dass der verstorben ist und es stehen seine Eltern drin. Das ist natürlich ganz spannend, denn die hießen Johann Adolf Feldhoff und Elisabeth Gertrud Linde.

Ich würde an ihrer Stelle mal nachschauen, ob es bei dieser großen Sippschaft Feldhoff nicht eine Verbindung zu einem prominenten Feldhoff geben könnte, wie eventuell – was mir jetzt so einfällt – der Dompropst, Norbert Feldhoff.

Mariele Norbert Feldhoff
Mariele und Dompropst Norbert Feldhoff

Zurück in Köln. Mariele geht auf der Domplatte entlang.

 

Sprecher: Den Dompropst Norbert Feldhoff kennt Mariele schon lange. Sie sind gemeinsam im Dombauverein, aber verwandt?

 

Norbert Feldhoff empfängt Mariele.

 

Mariele: Also, es ist nämlich so, dass diese Vorfahren von mir irgendwas mit der Pfarrerei – oder wie immer man das nennt – in Gimborn zu tun hatten...

 

Herr Feldhoff: Ja, ja. Meine auch.

 

Mariele: Haha! Da sagte nämlich heute eine Dame, die Frau Emrich, die in Lindlar dieses Archiv leitet und sehr recherchiert hat, die sagte, es würde sich lohnen, mal mit ihnen zu sprechen, ob wir da fündig werden, was übereinstimmend ist. Sie hatten uns nämlich mal einen lieben Brief geschrieben zum Tod meiner Mutter, dass wir miteinander eigentlich gar nichts zu tun haben...aber vielleicht ja doch?!

 

Herr Feldhoff: Ja, könnte doch sein.

 

Mariele: Wer weiß. Was haben Sie denn da zu bieten an Vorfahren?

 

Herr Feldhoff: Also, die Ältesten sind – jetzt muss ich mal gucken – Lindlar. Ein Johannes Feldhoff, geboren am... nicht angegeben, getauft in Gimborn als Sohn...

 

Mariele: Steht da ein Taufdatum dabei?

 

Herr Feldhoff: Das steht da nicht. Der Vater ist Johannes Adolf Feldhoff.

 

Mariele: Da kommen wir doch weiter. Guck' mal hier, getauft am... 1765! Johannes Adolf, gucken Sie mal hier! (zeigt auf ihre eigenen Unterlagen) Was ich da zu bieten habe: Johannes Adolf.

 

Herr Feldhoff: Dann sind wir ja doch verwandt!

 

Mariele: Wir sind verwandt! Wie cool ist das?!

 

Beide lachen.

Herr Feldhoff legt den Arm um Mariele.

 

Mariele: Jetzt, jetzt merke ich es auch gerade!

 

Herr Feldhoff: Meine Kusine 125. Grades!

Das Treffen ist vorüber.

 

Mariele reflektiert: Ich kannte ihn ja vorher schon und hatte zu ihm eigentlich immer einen ganz guten Draht. Insofern freut mich das, dass wir mit dem Dompropst, dem Herrn Feldhoff zu tun haben, find ich gut, find ich schön. Kann durchaus sein, dass dann, wenn ich mal einkaufen gehe, mal an Verwandtschaft vorbeilaufe und weiß das nicht.

 

Sprecher: Die Zeitreise in die Vergangenheit hat Vieles über ihne Ahnen zutage gebracht. Hat Mariele dabei auch Neues über sich selbst erfahren?

 

Mariele: Ja, es ist schon so ein bisschen eine Erkenntnis, was mich selber betrifft. Auch so, weil ich immer sage, ich bin davon überzeugt, dass wir in unseren Genen ganz viel mit rumschleppen, was auch schon über Jahrhunderte vorbei ist, also das sind alles so kleine Abdrücke, so kleine Stempel, die hinterlassen werden in unserem Genmaterial – davon bin ich überzeugt. Jetzt habe ich das ein bisschen besser kennenlernen können und kann auch jetzt bei mir so Charaktereigenschaften... weiß ich jetzt einzuordnen. Ich kann mir vorstellen, dass vielleicht ein Großvater oder Urgroßvater oder Urgroßmutter vielleicht ähnlich dickschädelig waren, ähnliche Kämpfernaturen zum Beispiel oder auch die Liebe zur Natur, die Liebe zu den Tieren. Das kommt dann auch irgendwo her und ich find das ganz spannend, das rausgekriegt zu haben!